Das Rathaus

Im Flörsheimer Rathaus, im 17. Jhdt. auch Gemeindehaus genannt, war im Obergeschoss die große Gerichtstube, in der die Versammlungen des Gerichtes, die ungebotenen und die gebotenen Dinge, stattfanden, die Stube des  Gerichtschreibers und die kleine Rathausstube. Im Erdgeschoss die Feuerwehrgerätschaften: der Feuerwagen und viele Ledereimer, die die “Feuerläufer” zur Brandbekämpfung benutzten. Im Hof war ein gemauerter Brunnen (1638).

Die ungebotenen Dingtage waren festgelegt in Flörsheim auf jeweils Dienstag nach Cathedra Petri (Peterstag) 22. Februar, Johannes Baptista 24. Juni und Gallus (Galletag) 16. Oktober. Bei den ungebotenen Dingtagen wurden öffentliche Angelegenheiten besprochen und entschieden, und Klagen und Beschwerden konnten vorgebracht werden. Die Gerichtsversammlungen, die bei Bedarf unregelmäßig einberufen wurden, waren die gebotenen Dingtage, siehe hier.

Ein Flörsheimer Rathaus wird zum ersten Mal 1514 erwähnt (HHStAW 104/66), was nicht bedeutet, dass es vorher kein Rathaus gab. Flörsheim hatte seit 1270 ein eigenes Niedergericht, und man kann davon ausgehen, dass es etwa seit dieser Zeit auch ein Rathaus gab. In Flörsheimer Quellen taucht es 1573 und 1596 als „Klaghaus“ auf (wo man die Klagen vorbrachte).1608 wird die die große Rathausstube erwähnt (GB 1447-1613 G/N). Dann wieder in einem Ausgabenposten der Bürgermeisterrechnung von 1640: 1 fl vor brod den fewerleufferen als das rathaus gebrandt.

In [Picard 1978] findet man: „1640 Brand des Flörsheimer Rathauses, sieben Jahre später Wiederaufbau an der Stelle der späteren Kirchschule“!!
Ein Wiederaufbau an Stelle der späteren Kirchschule (gegenüber dem Pfarrhaus, Grundstück Nr. 26 auf dem Kirchhof, Plan A) 1647 ist vollkommen ausgeschlossen, da sich hier noch 1656 ein Garten von Vian Thuan befand und hier 1671 das neue Rathaus gebaut wurde.
Ph. Schneider schreibt dazu „Das Flörsheimer Rathaus war abgebrannt im Jahre?“ (später ergänzt 1640).  „Es wurde jedenfalls im Jahre 1671 das abgebrannte Rathaus wieder aufgebaut“ [Schneider 1942].
In der Originalquelle heißt es nur, dass das Rathaus gebrannt hat. Für einen Wiederaufbau im Sinne eines Neubaus an anderer Stelle bestand also kein zwingender Grund. Wenn Ph. Schneider von einem Wiederaufbau des abgebrannten Rathauses 1671 spricht, ist zwar richtig, dass 1671 ein neues Rathaus gebaut wurde, aber sicher nicht als Ersatz für ein abgebranntes; was war in den 31 Jahren dazwischen?

Der Hauptgrund für diese Verwirrung besteht darin, dass alle bisherigen Lokalhistoriker (auch [Schiele 1999] im Zusammenhang mit den Häusern des Juden Lesser) bisher stillschweigend angenommen haben, dass das alte „abgebrannte“ Rathaus an der gleichen Stelle wie das neue gegenüber dem Pfarrhaus lag. Dies kann so nicht gewesen sein, wie sich mit einem einzigen Eintrag im Gemeindeschuldnerbuch belegen lässt (abgesehen davon, dass hier 1656 noch ein Garten war):

Hans Peter Staab, 24ten Aprili  Anno 1674 40 fl ad 30 alb Vor wegen des Von der gemeind ErKaufften Haus das Alte rathaus so beforcht oben Zu Georg wiget undten Zu ein gemein gas ---  (Gemeindeschuldenregister)

Die Gemeinde hatte offenbar das alte Rathaus an den Privatmann Hans Peter Staab verkauft, was nach 1671 und vor 1674 geschehen sein muss. Nach 1671, weil es sonst es sonst kein “altes Rathaus” gegeben hätte. Dass die Schulden im Jahr 1674 aufgeführt sind, heißt nicht, dass der Verkauf 1674 stattgefunden hat, aber vor 1674. Das alte Rathaus existierte also zeitgleich mit dem neuen und muss daher zwangsläufig an anderer Stelle gestanden haben. Das alte Rathaus wurde von der Gemeinde nicht mehr als Rathaus genutzt und konnte verkauft werden.

Bleibt die Frage nach der Lage des alten Rathauses. Die lässt sich anhand mehrerer Gerichtsbucheinträge eindeutig ermitteln, siehe hier.
Das Ergebnis ist: Das alte Rathaus lag in der Obergasse gegenüber der Kirche, westlich davon eine Gemeindegasse (zum Margarethaturm), östlich davon die Hofreite Nr. 12 von Mehl/Neumann/Wiget. Das alte Rathaus stand eindeutig auf dem Gelände H, rechts und in Plan A.
Es war seit 1674 im Besitz des Juden Lesser, der es von Hans Peter Staab erworben hatte, siehe hier und dort einen Kramladen gegenüber der Kirchgasse betrieb, siehe hier. Danach ging es an den Juden Muusche über, in dessen Besitz es 1707 war.

Zusammenfassend stellt sich die Geschichte des Flörsheimer Rathauses so dar: 1514 zum ersten Mal erwähnt, errichtet wahrscheinlich deutlich vor 1500, war das Rathaus Ort der Gerichtsversammlungen und  Tagungsort der Gemeindevertreter. In Originaldokumenten wird es 1514, 1573, 1596, 1608 und 1640 erwähnt, als es gebrannt hat. Es wurde repariert, u. U. auch wiederaufgebaut, wenn, dann an der alten Stelle. Es diente bis 1671 als Rathaus. Nach dem Bau des neuen Rathauses 1671 auf dem Grundstück Nr. 26 auf dem Kirchhof wurde es verkauft und existierte als Wohn- und Wirtschaftsgebäude noch nach 1700.
Das 1671 gebaute Rathaus wurde 1898 abgerissen; an der Stelle wurde die neue Kirchschule gebaut. Von 1884 bis 1918 diente das Hauptgebäude im Frankfurter Hof als Rathaus.

 

Das Pfarrhaus

Ebenfalls im Ausschnitt von Plan A rechts ist das Pfarrgelände 1656 zu sehen mit Pfarrhaus D und Pfarrscheune/ Zehntscheune B an der Obergass. Kleinere Wirschaftsgebäude wie Viehställe gab es an der westlichen Mauer des Pfarrhofs C (Plan C). Die beiden kleinen Hofreiten Nr. 108 und Nr. 113 gehörten zur Pfarrei und wurden schon vor 1600 an Flörsheimer Einwohner verpachtet. 1656 waren es der Schmied Michael Rembling (108) und der Jude Lesser (113).
Nachdem 1184 die Kirche Flörsheim mit ihren Pfründen und Besitztümern, wozu auch das Pfarrgelände gehörte, durch Schenkung an das Liebfrauenstift in Mainz (Mariengredenstift, St.Maria ad Gradus) gefallen war [Staab 1984], war es das Vorrecht des Dekans und des Kapitels dieses Stifts die Flörsheimer Pfarrvikare (Pfarrer) einzusetzen.

Rein formal galten Dekan und Kapitel des Stifts als Pfarrer der Flörsheimer Kirche, deshalb die Berufung von Vikaren. Das Stift ist ab dieser Zeit zuständig für Finanzierung und Unterhalt des Pfarrhauses, der Pfarrscheune und des Chores der Kirche.

Das Liebfrauenstift und Pfarrer Rupert, der zweite urkundlich erwähnte Flörsheimer Pfarrer, errichteten 1266 gemeinsam auf dem Pfarrgelände eine Scheune und vereinbaren, sie gemeinschaftlich zu nutzen. Seit dieser Zeit war die Pfarrscheune auch Zehntscheune (HHStAW 104/2). 1269 bauten Stift und Pfarrer ein neues Pfarrhaus an der Stelle des alten [Schichtel 1967]; es ist die erste urkundliche Erwähnung eines Flörsheimer Pfarrhauses. Die nächste Erwähnung findet sich erst wieder 1642 [Protokolle Liebfrauenstift]:

--- das der Pfarrhoff zue Flersheim baufellig und sonderlich das Dach einfallen möchte daher nicht bey Zeitten renoviert werde, aber keine geldt Mittel anhanden ---

An der Baufälligkeit des Pfarrhauses hatte sich offenbar auch 1659 nichts geändert, als Pfarrer Johann Adam Brück dem Liebfrauenstift seine Aufwendungen zu dessen undterhaltungh im Zeitraum von 1654-1659 auflistet (HHStAW 63/14): Die mit Abstand größten Ausgaben waren für die Reparatur des Schieferdaches, den Erhalt des Brunnens und für flickarbeit des mauerers. Der Bau eines neuen Pfarrhauses war wohl seit Jahrzehnten überfällig, aber erst 1685 wird ein Neubau begonnen. Der Flörsheimer Maurermeister Jacob Cluin wird mit dem Pfarrhausbau und der Errichtung einer Mauer hinter der Zehntscheune, zwey schu breit, beauftragt.

Jacob Cluin, um 1640 in Tirol geboren, kam mit seinem Bruder Marcus nach Flörsheim und heiratete 1665 Martha, eine Tochter von Philipp Eckert, Hofreite Nr.78. 1685 war sein Wohnhaus auf dem Grundstück Nr. 12.

Der Innenausbau des Pfarrhauses wurde vom Flörsheimer Schreiner Jacob Ackerman ausgeführt, dem Sohn von Johannes Ackerman, Hofreite Nr. 65 (Plan A). Zu Materialkosten und Handwerkerleistungen ist eine detaillierte Abrechnung erhalten, die Gesamtkosten beliefen sich auf 285 fl. Bei diesem Bauvorhaben war Jacob Cluin „Generalunternehmer“, die Vorauszahlungen in Höhe von 350 fl des Liebfrauenstiftes, das für die Baukosten aufkam, liefen über Jacob Cluin. Die Differenz von 65 fl zahlte Pfarrer Michael Huberti erst 1727 an das Liebfrauenstift zurück (ohne Zinsen). Rechts und in Plan D der Originalbauplan von 1685.
Rechts ein Plan des Pfarrgeländes von 1803 (Plan C). Die Aufnahme des Pfarrgeländes vom Kirchturm aus ist von etwa 1970. Erwartungsgemäß hat sich die Lage von Pfarrhaus und Pfarr-/Zehntscheune gegenüber 1656 nicht geändert.
Das Pfarrhaus von 1685 wurde 1974 abgerissen, es hatte in der Grundsubstanz 300 Jahre Bestand (Denkmalschutz?). Das an dieser Stelle gebaute Pfarrgemeindezentrum ist heute von der Bausubstanz sehr sanierungsbedürftig. 
 

Lage des alten Rathauses H  1656,
Ausschnitt von Plan A

Bauplan des Pfarrhauses 1685,  Plan D      HHStAW 63/14

Plan des Pfarrgeländes von 1803, Plan C  HHStAW 3011/3662H

Pfarrhaus  Zeichnung von Otto Stöhr 1926

Pfarrgelände um 1970  Links das Pfarrhaus, rechts die Pfarr-/Zehntscheune. Das Kelterhaus hinten wurde nach 1700 gebaut.  Original im Besitz von [Sievers 2004]

Das Rathaus von vor 1671 stand an der Stelle des Hauses mit den gelben Markisen, links das “Scharfe Eck”, Aufnahmen 2012

Abriss des Pfarrhauses und aller Gebäude des Pfarrgeländes 1974.  Dies ist das älteste bebaute Gelände Flörsheims. Das Fundament der Zehntscheune (im rechten Bild rechts) wurde 1266 gelegt. Historische/archäologische Untersuchungen wurden weder an den alten Gebäuden noch auf dem Gelände durchgeführt. Originale im Museum Flörsheim.

Ein Modell des Rathauses 1656

Ein Modell des 1685 gebauten Pfarrhauses

Modell des Pfarrgeländes, siehe auch hier

Rathaus und Pfarrhaus