Nach der Formulierung des Versprechens zum Verlobten Tag folgt  auf der gleichen Seite des Kirchenbuches der nicht datierte Bericht von Pfarrer Lamberti  (Pfarrer in Flörsheim von 1727 bis 1773) über Geschehnisse während der Pestzeit in Flörsheim, die er aus Erzählungen und Überlieferungen aufgeschrieben hat. Die folgende Übersetzung aus dem Lateinischen versucht den Sinn der Aussagen von Lamberti wiederzugeben unter größtmöglicher Beibehaltung des Wortlautes.

Es kommt nicht selten in der Geschichte vor, dass das, was allen früher Lebenden von Anfang an bekannt war, im Lauf der Zeit durch den Tod der älteren Menschen bei den Nachkommen so in Vergessenheit gerät, dass kaum oder gar nicht der Ursprung der Geschehnisse bekannt ist. Fast wäre das selbst mit dem oben erwähnten, von der Flörsheimer Gemeinde gelobten und Gott versprochenen, jährlich festlich zu begehenden Tag, geschehen, denn die noch lebenden Einwohner können, wenn sie gefragt werden, darüber nur wenig aussagen. Ebenso bin auch ich schon oft gefragt worden. Insbesondere denen, die an jenem Tag predigen wollten, habe ich nur antworten können, dass in besagtem Jahr 1666 hier die Seuche gewütet hat, und dass, um sie abzuwenden, unsere Vorfahren dieses Versprechen geleistet hatten. Genaueres kann man also bei den Überlebenden erfahren, von denen ich bis jetzt einige gefunden habe, die damals die Ereignisse bewusst erlebt haben, und das folgende mir erhaltenswert Scheinende habe ich einem wohlgesonnenen Nachfolger zur Kenntnis festhalten wollen.

1. Die grimmige Seuche begann am 16. Juni zu wüten, wie bei den in diesem Jahr aufgeschriebenen Toten eingesehen werden kann.  Im Haus eines gewissen Schneiders, der irgendwoher aus einem verseuchten Nachbarort abgenutzte Kleidungsstücke durch Kauf oder eher geschenkt erwarb und sie seinen Kindern angepasst hat, von denen vier an einem Tag gestorben sind, so hat es mir ein alter Mann erzählt.

2. Am Anfang wurden die Toten tagsüber begraben, als das Übel sich verschlimmerte, auch nachts, damit nicht Unruhe und Angst in der Bevölkerung und der Nachbarschaft zunahmen. Viele sind deshalb begraben worden ohne Wissen der noch Lebenden, so dass diese, wenn sie fragten, wo ist denn der oder der, die Antwort bekamen, dass die schon seit einigen Tagen auf dem Friedhof liegen.

3. In diesem Buch finden sich zwar ungefähr 160 Namen von Verstorbenen aus jener Zeit, aber ältere Leute haben gesagt, das die Zahl der Toten ungefähr 250 gewesen sei. Die Einwohner sind in solche Bedrångnis gekommen, dass abends ein Nachbar und auch Verwandter dem anderen noch gute Gesundheit wünschte, dass morgens aber jemand an das Fenster klopfte und fragte: Vater oder Mutter, Bruder oder Schwester, lebt noch jemand?  Und einige wurden abends, andere morgens tot aufgefunden in Häusern, deren Eingänge verschlossen waren, und alle Bewohner waren tot.  Nicht nur Menschen, sondern sonderbarerweise auch Hunde, Katzen, Hühner etc. starben in den von der Seuche erfassten Häusern.

4. ln dieser Not gab die ganze Gemeinde das Versprechen für sich und ihre Nachkommen, sie wolle den  Verlobten Tag feierlichst begehen, solange in Flörsheim ein Stein auf dem anderen stehe. Deshalb gingen die Eltern mit ihren Kindern an den Ort der vier Evangelien und riefen ihnen zu:  Ihr Kleinen, betet, bittet und klagt zum Herrn, dass er wenigstens euch erhört.  Wenn wir auch unwürdig sind, so sollen eure Gebete die Wolken durchdringen, wenn unsere zurückgewiesen werden, und siehe da,  danach, so berichten alle älteren Leute, breitete sich die Seuche nicht weiter aus und griff auch nicht auf den oberen Teil des Dorfes  oberhalb der Kirche über, sondern wütete nur im unteren Teil. 
Dieser Verlobte Tag scheint mir im ersten Jahr nicht jener 28. Juli gewesen zu sein, und er ist in diesem Jahr auch nicht gefeiert worden, weil viele danach gestorben sind, besonders während der Zeit der Weinlese, die wegen der ungeheuren Angst der Bevölkerung quasi ausgefallen ist, obgleich die Trauben sehr reif und leicht überreif waren, und er verschoben wurde bis zum Fest der heiligen Apostel Simon und Judas (28. Oktober). Doch ist dieser Tag, der 28. Juli, im Kalender festgelegt worden.

5. Mit übermenschlichen Kräften hat der Hochwürdigste Herr Laurentius Münch bei seinen von der Pest befallenen Pfarrkindern gewirkt, Lizenziat der Theologie, Kanonikus des Kapitels der HI. Jungfrau Maria an den Stufen in Mainz, Pfarrer von Flörsheim, Eddersheim, Haßloch und Mönchhof usw.,  vorher Pfarrer in Kriftel und Ockenheim, und der als Priester nicht nur Tag und Nacht als einziger die Seinen mit den Sakramenten versorgte und die Verstorbenen begrub, sondern auch mit eigenen Händen die an der Brust ihrer toten Mütter hängenden noch lebenden Kinder wegnahm, verseuchte Häuser segnete, sich die Sohlen ablief und hinfällige Pfarrkinder mit den Sakramenten versorgte, wenn er sie auf der Straße liegend fand.
Dieser, ich möchte sagen, unsterbliche Mann, bei den Flörsheimern dauernder Erinnerung würdig, hat sich bei Gott die ewige Krone verdient, den auch der lohnende Herr mit langem irdischem Leben beschenkt hat, da er nach den damaligen sehr traurigen Zeiten noch 47 Jahre lang in Mainz gelebt hat,  gottesfürchtig  gestorben und im Jahr 1713 in seiner Stiftskirche begraben ist, zu der Zeit, als ich schon mit meinen Studien in Mainz beschäftigt war. Wenn er zu Lebzeiten hierher kam, um den Tag mitzufeiern, konnte er mit seinen älteren Pfarrkindern niemals ohne stille Tränen von jener traurigen Zeit sprechen.

NB:  ln den ersten Jahren gingen die Prozessionsteilnehmer barfuß , besonders die an den einzelnen Stationen hervortretenden  alten Leute,  gebeugt, weinend und betend. lch selbst habe den Johannes Valentin Büttel als Mann begraben, den, wie erwähnt,  der hochwürdigste Herr Pfarrer von der Brust der toten Mutter wegzog und zur Erziehung zum Haus seiner Großmutter gebracht hat.

6. Die an der Pest Infizierten litten schrecklichen Durst, so das sie klagend von Vorübergehenden nichts als Wasser erbaten und von barmherzigen Leuten mit bereitgestellten Eimern versorgt wurden.

7. Diejenigen, die von der Pest verschont blieben und überlebten, hatten  kräftige Beine (pedes crassos), wodurch das Ubel nachgelassen hat, das in der Art blauen Dampfes  in der Luft zu fliegen schien, weil die, die es schnell genug sahen, rennend auswichen, besonders die, die wie die Kinder jüngeren Alters waren, welche sagten: Lauft, das Käutzgen kombt. Johannes Theis, ein bub sasse auff einem baum umb einen sprenckel Vögell zu fangen auffzurichten, kame daß übell ihm ahn einen arm geflogen, welches er alsbald mit seinem in der Hand gehabten messerlein herausgeschnitten, wodurch das Übel sich nicht weiter ausbreitete und er selbst ein stattlicher Mann geworden ist.

Der hervorgehobene Teil des Textes unter 7) wurde von Lamberti in deutscher Sprache geschrieben, siehe im Originaltext rechts.

Zu 1) Lamberti sagt, dass die Pest am 16. Juni im Haus eines gewissen Schneiders ausbrach, der aus einem verseuchten Nachbarort Kleider mitgebracht hatte. Dieser Schneider war Johann Peter Schuhmacher, der die Hofreite Nr. 35 in der Nähe der Unterpforte (Plan A) besaß; sie stammte von seiner Frau Hedwig Sabina Hart. Vier seiner Kinder waren die ersten Pesttoten in Flörsheim, die alle am 16. Juni gestorben sind, wie man anhand des Kirchenbuches leicht verifizieren kann. Von den insgesamt 7 Kindern aus erster Ehe (Johann Peter war dreimal verheiratet) überlebte nur Johannes Schuhmacher.
Dass verseuchte Kleider die Infektionen auslösten, ist unwahrscheinlich. Pestbakterien überleben an Luft nur kurze Zeit. Wahrscheinlicher ist, dass er sich infizierte und seine Kinder ansteckte, er selbst aber überlebte.

Zu 2) Lamberti erwähnt die etwa 160 Sterbeeinträge im Kirchenbuch und 250 Pesttote aus den Erzählungen der Alten, mehr dazu siehe hier.

Zu 3) Heute gilt als gesichert, dass auch Hunde und Katzen an der Pest sterben können.

Zu 4) Durch die Fürbitten der Kinder sei die Seuche  auf den Unterflecken beschränkt geblieben und habe nicht auf den Oberflecken übergegriffen. Das ist nicht korrekt. Im Oberflecken waren betroffen die Familien von Walter Born (86), Johannes Kohl (89), Johannes Kern (23), Hans Henn (73), Friedrich Neumann (30), Johann Peter Rosbach (96) und Valentin Kremer (2). Die Zahlen in Klammern sind die Nummern der jeweiligen Hofreiten in Plan A.
Zwei Kinder und die Frau von Johann Paul Widdermann, des damaligen Oberschultheißen, starben.  Er hat vermutlich in der Nr. 98 gewohnt, dem Hof des kurfürstlichen Trompeters Heinrich Vogel, der sich nur selten in Flörsheim aufhielt.
Richtig ist, dass die Seuche sich zunächst vom Unterflecken aus verbreitet hat. Auch starben im Unterflecken mehr Einwohner als im Oberflecken. Setzt man aber die Zahl der Toten in Relation zu den jeweiligen Einwohnerzahlen, ergibt sich kein signifikanter Unterschied zwischen Unter- und Oberflecken.

Zu NB (Nota Bene):  Lamberti sagt, dass er den Säugling Johann Valentin Büttel, den der Pfarrer Münch 1666 von der Brust der toten Mutter nahm, als Mann beerdigt hat. Das war am 11. Dezember 1729, im zweiten Amtsjahr von Lamberti als Pfarrer in Flörsheim.
Das Schicksal der Familie Büttel ist sicher eines der tragischsten der Pestzeit. Der Vater von Johann Valentin Büttel, Nicolaus Büttel, kam von Pfungstadt nach Flörsheim und heiratete hier 1655 die Flörsheimerin Anna Maria Eckert, eine Tochter von Gerhard Eckert, (Hof Nr. 16 in Plan A). Ihr Hof war die Nr. 27 in der Obergass zwischen Pfarrhof und Karthäuserhof. Sie besaßen und bewirtschafteten 12 Morgen Äcker und 6 Morgen Weingärten, im Wesentlichen das Erbteil von Gerhard Eckert. Insbesondere die Weingärten stellten eine solide finanzielle Basis für eine Familie dar.
Von 1655 bis 1666 wurden die Kinder Johannes, Maria Apollonia, Anna Margaretha, Joachim (gest. vor 1665), Martha (gest. vor 1666), Joachim und schließlich Johann Valentin am 3. Januar 1666 geboren. Alle vier der Anfang 1666 noch lebenden Kinder starben, wie auch ihre Eltern, im September und Oktober 1666 an der Pest.
Der einzig überlebende Johann Valentin wuchs im Haus seiner Großeltern auf (Gerhard Eckert´s Haus Nr. 16). Er heiratete 1684 Gertrud Hart. Das Ehepaar hatte 3 Kinder, die sich alle später verheirateten. Johann Valentin wurde 63 Jahre alt.

Undatierter Bericht von Pfarrer Lamberti im Kirchenbuch I

In der Übersetzung von [Gander 1898]  sind die einführenden Bemerkungen von Lamberti bis zu 1) sowie der letzte Absatz unter 4), wo Lamberti die Verschiebung des Verlobten Tages im ersten Jahr begründet, weggelassen.
Zu dem, was er übersetzt hat, muss man anmerken:
Der Schneider hat nicht infizierte Kleider auswärts gekauft, sondern abgenutzte Kleider in einem verseuchten Nachbarort erworben (loco infecto). Nicht der 29. sondern der 28. Juli wurde zum Feiertag bestimmt. Die Überlebenden hatten keine geschwollenen Füße, sondern kräftige Beine, womit sie dem blauen Dunst davonlaufen konnten
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[Wagner 1984] übersieht das angegebene Sterbejahr von Pfarrer Münch (1713). Er benutzt eigentümliche Formulierungen wie  “nach seinem Tod auf fromme Art” oder Passagen wie “wenn auch die Trauben sehr reif und leicht überreif waren, ist doch als der Tag der 28. Juli festgelegt worden”, was keinen Sinn macht. Trotzdem ist seine Übersetzung weitgehend authentisch.

Der Pestbericht von Pfarrer Lamberti