Flure und Wege 1656

“Amtswiese” ist die Bezeichnung für eine Kleinflur, deren Bedeutung bisher nicht klar war. Sie taucht zum ersten Mal 1656 im Stockbuch auf und steht für ein Landstück unmittelbar nördlich des Erdelgrabens an der Gemarkungsgrenze zu Weilbach (siehe Skizze rechts und Plan L). Sie liegt am Rande eines Geländes, das bis etwa 1600 ein riesiges Sumpf- und Überschwemmungsgebiet war, siehe hier. Außer den sehr alten Flurnamen “Ried” und “Harlat” (Sumpfland) ist der Flurname deshalb wie auch “neues Feld” und “mitten in Feld” erst nach 1600 entstanden, nachdem dieses Land durch Entwässerung urbar gemacht wurde. In Dokument HHStAW 105/502 von 1682, in dem es um die unrechtmäßige Setzung von Grenzsteinen geht (siehe hier), wird ein Graben zwischen der Amtswiese und dem Ried erwähnt. Es war einer der Gräben, die das Harlat zum Erdelgraben entwässerten.

Die Bezeichnung  “Amtswiese” erklärt sich eindeutig aus einem Dokument von 1725 (HHStAW 105/491), in dem die Amtswiese explizit genannt wird. Zu dieser Zeit war der Flörsheimer Johann Caspar Müller Oberschultheiß in Flörsheim. Die Nutzung der Amtswiese, 8 Morgen, war ein Teil des Gehalts des Flörsheimer Oberschultheißen, der sie in der Regel als Viehweide an die Gemeinde verpachtete.
Allerdings ist bereits in dem oben erwähnten Dokument von 1682 von einer “Dienstwiese” des Oberschultheißen die Rede.

Abgesehen davon, dass das Dokument die Erklärung für die Amtswiese liefert, lässt sich daraus das Einkommen des Oberschultheißen abschätzen. Zur Grundbesoldung von 8 Malter Korn (ca. 25 fl) kamen Einnahmen aus Gebühren für praktisch alle notariellen Vorgänge wie Testamente, Inventaraufnahmen, Erbteilungen, Geburtsurkunden, Grundstückskäufe und -verkäufe, Gutachten (augenschein) und Geldanlagen (verlegung).  Dazu kam der geldwerte Vorteil durch Zuwendungen in Form von Wein, Landnutzung, Gänsen und Hühnen, etc.. Das Einkommen eines Oberschultheißen zu dieser Zeit aus reiner Amtstätigkeit dürfte über 200 fl gelegen haben. Daneben hatten alle Oberschultheiße in der Regel erheblichen Grundbesitz. 

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Die Flur “Amtswiese”

Ober- und Unterehnweg

Zu den bisher nicht interpretierbaren Wegen in der Bezeichnung von 1656 gehörten der Ober- und Unterehnweg (rechts und Plan I). Der Oberehnweg ist die heutige Wickerer Straße, der Unterehnweg ist in Teilen erhalten, siehe hier. Durch eine systematische Analyse der frühen Eintragungen in GB 1447-1613 GN lässt sich die Herkunft und Bedeutung dieser Wegenamen klären.
In dem Gemarkungsbereich, wo 1656 die beiden Ehnwege lagen, gab es 1320 den menweg in unmittelbarer Nähe zum Herrnpfad (HHStAW 104/6). 1370 liegt ein Acker an dem meneweg (HHStAW 104/20). Die drei jetzt identifizierten Gerichtsbucheinträge von 1447 und 1448 zeigen klar, dass es sich bei moen um den Main handelt, und der moenweg in der heutigen Sprache der Mainweg ist.
In der Zeit bis 1475 finden sich die Bezeichnungen moneweg, meeweg und meheweg nebeneinander; 1475 ist von einem nydderen meneweg und logischerweise von zwei menewegen die Rede. Nach 1475 bis 1533 gibt es nur noch mehewege; der Main heißt mehe (1525). Prof. Metzner hatte in früheren Diskussionen schon vermutet, dass mehe "Main" bedeuten könnte.
Der Hauptgrund für die unterschiedlichen Schreibweisen liegt darin, dass es keine verbindliche Rechtschreibung gab - die Gerichtschreiber schrieben mehr oder weniger nach ihrem Gutdünken, siehe hier. Oft versuchten sie, mit der Schreibweise das gesprochen Wort wiederzugeben. Sie kannten sicher die lateinische Bezeichnung für Main (moenus), aber so hieß der Main nicht in der Flörsheimer Sprache. Wie der Main 1450 im Flörsheimer Dialekt genau ausgesprochen wurde, wissen wir nicht, und die Aussprache lässt sich auch nicht erschließen, wenn es 1468 den moneweg und 1470, zwei Jahre später, den meeweg gibt. In diesen zwei Jahren hat sich die Aussprache sicher nicht geändert. Nur eines ist sicher: heute heißt er Moo (nicht nasaliert wie z. B. in Mainz).
Eine meheweg erscheint zum letzten Mal 1533. Danach tauchen für 35 Jahre keine "Mainwege" in irgendeiner Form im Gerichtsbuch auf. Ab 1568 ist die Bezeichnung für diese Wege ehnwege, und die Namen Ober- und Unterehnweg im Stockbuch von 1656 haben sich bis (fast) heute erhalten. Im 16. Jhdt. wurden in der hiesigen Gegend “Nachen” auch als “Nehen” bezeichnet; es liegt nahe, “Ehnweg” auf “Nehenweg” zurückzuführen 

Die Tatsache, dass es über längere Zeit überhaupt keine Mainwege gab, hat eine auffällige Parallele zum Wickerer Weg, siehe hier. Nach Fertigstellung der Landwehr an der Gemarkungsgrenze zu Wicker spätesten 1517 waren alle lokalen Verbindungen nach Wicker und von Wicker zum Main gekappt (außer dem Fernweg vorbei an der Warte). Danach gab es über 20 Jahre lang keine Bezeichnung "Wickerer Weg"; er hatte seine Bedeutung verloren, da er nicht mehr nach Wicker führte (Wege werden in der Regel nach dem Ziel benannt, zu dem sie führen). Genauso dürften die mehewege die, von Wicker aus gesehen, zum  Main führten, an Bedeutung verloren haben.

1581 fielen Wicker und Weilbach an das Domkapitel, die Landwehr war obsolet und wieder durchlässig geworden, siehe hier. Die “Nachenwege” stellten spätesten 1568 wieder eine Verbindung zum Main her.
Für die Flörsheimer selbst war die Bezeichnung moenweg oder spätere Namensformen, die sich auf den Main bezogen,  wahrscheinlich nie sehr plausibel. Der Wickerer Weg führt nach Wicker, der Weilbacher Weg nach Weilbach und der Mainzer Weg nach Mainz; einen Weg, der zum Main führte, brauchten sie nicht, sie wohnten dort.
Alle heutigen Straßennamen, so auch die mit Bezug zum Main, wie Unter- und Obermainstraße sind erst gegen Ende des 19. Jhdts. enstanden.
Die Untermainstraße war bis dahin die “Undergass”; die “Obergass” war  die Hauptstraße. Die heutige Obermainstraße hatte keine spezifische Bezeichnung und war eine der vielen Gemeindegassen.   

Für den mittelalterlichen Fernweg [Metzner 2010], der von Wicker kommend an der Flörsheimer Warte vorbei quer durch die Gemarkung unter Umgehung des Ortskerns zum Rüsselsheimer Fahr führte (siehe auch hier), hat sich nie ein dauerhafter eigener Name herausgebildet, vielleicht um 1370 cloppheimer phad, siehe hier. Er wurde ab 1656 als "der Weg der von der Mühle nach Wicker führt" umschrieben. Ein Blick auf den Plan I zeigt, dass der (Unter)ehnweg mit dem Bachweg, dem Zwerchweg und dem Mainzer Weg als Verlängerung eine ähnliche Funktion hatte und vermutlich ebenfalls einen Teil eines Fernweges sehr frühen Ursprungs darstellt. Dies würde auch die scheinbar unplausible Führung des Zwerchweges erklären.

1320  menweg (HHStAW 104/6)

1370 an dem meneweg (HHStAW 104/20)

1447  lieggeth an dem moen

1448  stoiszet uff den moen in nederwyngartin

1448  stoszet uff den moenweg

1454  nyedermonewegk, monewegk (HHStAW 104/43)

1456  an dem meheweg

1468  an dem monewege

1470  zit uff den meeweg

1475  nydderer meneweg

1475 zwischen den menewegen (HHStAW 104/51)

1477 zeigen uff den mehe wegk

1482 an dem obermehweg

1525 gelegen am mehe

1533 uff dem meheweg

1568 uff dem ehnweg

Frühe Wege (vor 1350) aus der Wickerer Gemarkung zum Main

gelb: mittelalterlicher Fernweg, über den Steinweg an der Flörsheimer Warte vorbei über die Kelb zum Flörsheimer Bach bis zur Mündung des Flörsheimer Baches  (Seilfurt) nach [Metzner 2010]

rot: vermutlicher Fernweg über den Unterehnweg, Bachweg, Zwerchweg und Mainzer Weg zur Mündung des Flörsheimer Baches

blau: Oberehnweg (Wickerer Straße) über die heutige Obermainstraße zur großen Mainpforte und zum Flörsheimer Fahr

 

In dieser Luftbildaufnahme von 2016 ist westlich des oberen Teils des Unterehnwegs in dem hellgrünen, quergepflügten Feldbereich ein dunklerer Streifen, von Südosten nach Nordwesten verlaufend, zu erkennen. Dieser Streifen markiert aufgrund der anderen Bodenbeschaffenheit und damit anderer Vegetationsausprägung den Rest des bis 2012 noch existierenden Herrnpfades. Er wurde 2013 umgepflügt, siehe hier. Einer der ältesten Flörsheimer Wege, der von 1290 bis 2012, zumindest in Teilen Bestand hatte, ist verschwunden (Denkmalschutz ?).  

Unterehnweg Richtung Norden, im Hintergrund Wicker, Aufnahme 2012

Item gerhard stois had eyn gang gegangen in eyn czweitel stoszet uff den moenweg und ist gewest walz hen (GB 1447-1613 GN, 1448)

Die Flur “Schenkemorgen”

Schenkemorgen ist die Bezeichnung einer mittelgroßen Flur im Brückenfeld. Die Erklärung des Namens ist einfach, wenn man sie erst einmal gefunden hat. Um 1370 besaß hier eine Frau Schenck 6 Morgen Äcker, siehe hier.

Eine große Flurkarte der Flörsheimer Gemarkung von 1907 kann man hier finden.

Oberehnweg (heutige Wickerer Straße) vom Landwehrweg Richtung Südosten  Aufnahme 2011

Karte: AeroWest Digital Globe, Geobasis DE, 2016

Bisher undeutbare Flur- und Wegenamen