In Buch I (erschienen 2012) ist die These vertreten worden, dass die Kirche, deren Schiff 1664-1666 gebaut wurde (der Vorgängerbau des heutigen Schiffes), sowie deren Vorgängerbau von vor 1500 einen Westturm hatte, siehe auch hier. Einige Heimatforscher haben für beide frühen Kirchenbauten einen Dachreiter vermutet, wofür es allerdings keinen konkreten Beleg gibt.

Diese These stützte sich insbesondere auf Fakten, die aus dem  Schriftwechsel zwischen dem Flörsheimer Gericht und dem Amtsverwalter Cullman bezüglich des 1706 gebauten heutigen Turms ersichtlich werden, siehe hier. Das wesentliche Argument war, dass bereits vor der Grundsteinlegung zum heutigen Turm im März 1706 ein Loch im Kirchenschiff war und zwar von solcher Größe, dass das Gericht Schaden für die Kirche voraussah und befürchtete, vor dem beginnenden Winter die Inneneinrichtung ausräumen zu müssen, wenn die Bauarbeiten zum Turm nicht voran schritten. Der neue Turm sollte möglichst schnell gebaut werden, damit das Mauerloch verschwand. Dieses Mauerloch kann nur durch den Abriss des alten Westturms entstanden sein, logischerweise vor der Grundsteinlegung des 1706er Turms. Leider existieren zu den Aktivitäten zum Bau des 1706er Turms, aus denen der Abriss des alten Turms hervorgehen müsste, keinerlei Unterlagen, so dass wir auf die Indizien aus dem erwähnten Schriftwechsel angewiesen waren.

Eine neue Prüfung des Berichtes “Restauration der St. Gallus-Kirche in Flörsheim am Main 1987-1989” [Klockner, Mohr, Theis 1993] liefert einen direkten Hinweis für einen Westturm der frühen Kirchenbauten. Als 1987 eine neue Heizungsanlage im heutigen Kirchenschiff eingebaut wurde, nutzten die Autoren die Gelegenheit, mehrere Grabungen im Innern des Kirchenschiffes durchzuführen.

In der Grube 1 an der Westwand des Schiffes stießen sie auf ein aus Kalkbruchsteinen gemauertes Fundament unterhalb eines aus einer früheren Heizungsanlage stammenden Lüftungskanals (Abbn. rechts). Dieser Fundamentbereich (er konnte nicht vollständig freigelegt werden) hatte eine Tiefe von mehr als 1,5 m und eine Breite von mehr als 1,2 m. Ein Fundament dieser Dimension kann nicht das Fundament lediglich einer Westmauer des 1664-1666 gebauten oder früheren Kichenschiffes gewesen sein; die aufgefundenen Fundamentreste der nördlichen Seitenwand dieses Schiffes sind 1 m tief und 0,55 m breit. Zum Vergleich: Die Mauern der drei Türme der Ortsbefestigung waren zwischen 1,4 m und 1,5 m dick, siehe hier. Dieses Fundament kann nur das Fundament der Ostwand eines Turms gewesen sein, die natürlich auch einen wesentlichen Teil der Westwand des Schiffes bildet. Andere Möglichkeiten, dieses Fundament zu erklären, wie etwa die Existenz eines Baues mit solchen Fundamenten ein paar Meter westlich einer kleineren Kirche halten die Autoren selbst für nicht wahrscheinlich.  Zusammen mit den oben genannten Indizien dürfte somit feststehen, dass der Vorgängerbau der heutigen Kirche einen Westturm hatte.

Aus den Kirchenbaurechnungen 1664-1666 geht eindeutig hervor, dass in dieser Bauphase lediglich das Dach des Turms erneuert wurde; mit “Turm” hätte allerdings auch ein Dachreiter gemeint sein können, auch ein Dachreiter wurde manchmal als “Turm” bezeichnet. Dies kann man jetzt definitiv ausschließen. Es folgt also zwingend, dass der Vorvorgängerbau der heutigen Kirche ebenfalls einen Westturm hatte. Dieser Turm gehörte zu der Kirche, die in historischen Dokumenten ab 1516 indirekt und ab 1622 konkret fassbar wird, siehe hier.  Damit dürfte auch die dort gegebene Antwort auf die Frage, warum man 1706 “nur” einen neuen Turm gebaut hat, obwohl das alte Kirchenschiff für die damalige Einwohnerzahl viel zu klein war, bestätigt sein. Der 1706 noch stehende Turm war zu diesem Zeitpunkt älter als 200 Jahre. Er war entweder baufällig oder erlaubte von der Statik her nicht  das Aufhängen größerer Glocken, und ein Turmneubau hatte bei immer knappen Geldmitteln oberste Priorität, bevor mit dem Bau des heutigen Kirchenschiffes 1766 begonnen wurde. 

Damit dürften auch die anderen in Buch I gemachten Aussagen zu den frühen Flörsheimer Kirchenbauten , die einen Westturm voraussetzen, bestätigt sein.   

Fundamentreste in Grube 1 [Klockner, Mohr, Theis 1993]

Der Westturm der frühen Kirchenbauten