Erste Seite des Marktprotokollbuchs, angelegt von dem Gerichtschreiber Johannes Neumann 1712. Der Text dieser Seite entspricht dem ersten Absatz der transkribierten Version hier.
Flörsheimer Jahrmärkte nach 1715 vor der Ober- und Unterpforte (braune Kreise)
Im 17. und 18. Jhdt. war der Dorfplatz mit der Dorflinde, bei aller Bedeutung für das damalige Gemeinwesen, kein offizieller Marktplatz. Das wäre mit Marktgeldern und Standgebühren verbunden gewesen, die in den Bürgermeister- rechnungen nicht aktenkundig sind. Das schließt aber nicht aus, dass hier gelegentlich Garten- und Feldprodukte mit Duldung des Gerichts feilgeboten wurden. Für 1691 ist ein “Flachsmarkt” belegt, der vor der Oberpforte stattfand (GB 1690-1708 VN). Vermutlich wurden nicht nur Erzeugnisse aus Flachs (Leinenstoffe, Seile, Garne) sondern auch andere Waren gehandelt. In Flörsheim selbst wurde kein Flachs angebaut oder verarbeitet.
Anders als z. B. in Hochheim gab es im 17. Jhdt. in Flörsheim keine Jahrmärkte. Das Flörsheimer Gericht hatte mehrere Versuche unternommen, dass sie mitt Zweyen oder dreyen Jahr Märkthen versehen werden Könten, den letzten 1678 (HHStAW 105/266). Der Amtsverwalter hat das Anliegen auch beim Erzbischof unterstützt, dieser hat offenbar jedoch abschlägig entschieden (Antwort oder Begründung sind nicht überliefert). Man kann vermuten, dass er eine Konkurrenz zu den bereits existierenden Jahrmärkten der naheliegenden Gemeinden Hochheim und Hofheim verhindern wollte.
1712 wurde dann vom Mainzer Domkapitel die Gnade erwiesen, zwei Märkte im Jahr abzuhalten, was der Gerichtschreiber Johannes Neumann überschwenglich kommentiert (erster Absatz der Transkription ). Der ersten Märkte, am ersten Montag im August 1712 und am Mittwoch nach Ostern 1713 fanden vor der Oberpforte statt und wurden festlich begangen. Der zweite Absatz der Transkription lautet in heutiger Sprache:
Demnach sind 1712, am ersten Montag im August, dann 1713, Mittwoch nach Ostern diese zwei Märkte abgehalten und von Schultheiß, Gericht und Gemeindevorgängern aus Flörsheim mit fliegender Fahne, Trommeln und Pfeifen in Begleitung des bewehrten Ausschusses auf dem von Flörsheim verordneten Marktplatz an der Markthütte in guter Ordnung eröffnet worden. Danach von verschiedenen Krämern und Kaufleuten, Christen und Juden besucht und mit einer großen Zahl an Pferden und Vieh beschickt worden, die alle sowohl von den Kurfürstlich Mainzischen als auch von den Zöllen des Domkapitels auf diesen zwei Märkten befreit blieben.
Die danach folgende Aufstellung zeigt, dass es in erster Linie ein Viehmarkt war, aber auch Schumacher und Sattler haben sich an der Markthütte angemeldet. An dem Charakter des Marktes als Viehmarkt hat sich im gesamten 18. Jhdt. nichts geändert. Die Anzahl der aufgetriebenen Schweine, Kühe, Ochsen und Pferde in den ersten Jahren lässt auf einen Markt in einer für das damalige Flörsheim beachtlichen Größe schließen; allein ein Händler aus Haselbach hat 1712 57 Rinder aufgetrieben. An den ersten beiden Märkten kam die Mehrzahl der Händler aus einem 50 km - Umfeld von Flörsheim, aber auch Viehhändler aus der Gegend von Köln und aus Bayern waren vertreten.
Im August 1715 reichten die Viertelmeister des Unterfleckens beim Domdechanten ein Gesuch ein, die Märkte abwechselnd vor dem Obertor und dem Untertor abzuhalten (siehe hier). Da der Domdechant einverstanden war, beschloss das Flörsheimer Gericht, die Märkte in Zukunft alternierend vor Unter- und Oberpforte abzuhalten. Der nächst kommende Markt, also Mittwoch nach Ostern 1716, sollte vor dem Untertor stattfinden. Der Beschluss wurde im Marktprotokoll festgehalten. Das Gericht verfügte außerdem, dass für den Markt am Untertor das brachliegende Bergfeld und für den am Obertor das brachliegende Brückenfeld (gemeint sind offenbar die ortsnahen Bereiche dieser Großfelder) zur Verfügung stehen sollen. Das Alternieren der Märkte vor Ober- und Unterpforte wurde bis 1815 beibehalten.
Die Ostermärkte wurden nach 1722 aufgegeben. Der Grund war, dass die Einnahmen aus den Ostermärkten die Kosten nicht deckten. Die geringe Attraktivität von Ostermärkten war in einer von Getreide- und Weinanbau geprägten Region zu erwarten, da das Frühjahr eine für Bauern und Winzer arbeitsintensive Zeit ist. Die erfolgreichsten Jahrmärkte in unserer Region fanden nach der Getreideernte statt, oder in weinanbauorientierten Dörfern sogar erst nach der Weinlese (Hochheim: November).
In den Jahren um 1740 hat man versucht, den ausgefallenen Ostermarkt durch Einführung eines zweiten Herbstmarktes, den Gallusmarkt im Oktober, zu kompensieren. Dies war, wenige Wochen nach dem Augustmarkt, nicht erfolgreich und wurde aufgegeben. 1801 war ein letzter erfolgloser Versuch unternommen worden, zusätzlich zum Augustmarkt einen Gallusmarkt am 19. Oktober abzuhalten. Trotz der erteilten markgerechtigkeit für zwei Jahrmärkte hat man sich nach 1725 also auf einen Jahrmarkt, den Augustmarkt, beschränkt.
Die Kosten eines Marktes für die Gemeinde betrugen um die 20 fl, Details für 1792 siehe hier. Davon waren allein Spesen für Oberschultheiß, Gericht und Bürgermeister 13 fl. Selbst im Jahr 1798, als der Jahrmarkt wegen einer Hornviehseuche nicht stattfinden konnte, genehmigte sich das Gericht eine “Marktzulage” von 12 fl für Wein. An den Kosten der Märkte hat sich im gesamten 18. Jhdt. nichts geändert. Wenn also die Bruttoeinnahmen weniger als etwa 20 fl betrugen, war der Markt für die Gemeinde ein Verlustgeschäft.
Etwa alle 10 Jahre wurde eine neue, wiederverwendbare, hölzerne Markthütte gebaut, Kosten 8 fl.
Die Einnahmen der Gemeinde aus dem Marktgeschehen bestand in den Marktgeldern, Gebühren, die von den Händlern zu bezahlen waren. Die Höhe der Marktgelder ist nicht im Flörsheimer Marktprotokoll festgehalten, aber es waren sicher Gebühren pro Kauf/Verkauf, abhängig vom Wert des gehandelten Objekts, wie auch in Hochheim.
In Hocheim betrugen im 18. Jhdt. die Marktgelder für den Handel mit einem Pferd 10 alb (hälftig von Verkäufer und Käufer zu bezahlen), wurde ein Pferd aufgetrieben, aber nicht verkauft, zahlte der Besitzer 2,5 alb. Für Rinder waren die entsprechenden Gebühren 4 bzw. 1 alb und für Kleinvieh (auch Schweine) 4 bzw. 2 alb. Krämer zahlten je nach Standgröße 2-8 alb, und der Betreiber einer Garküche 12 alb [Schüler 1887].
Seit der Einführung des Jahrmarktes 1712 nahm der Gewinn (Einnahmen - Ausgaben) aus dem Augustmarkt, wenn auch mit Schwankungen von Jahr zu Jahr, stetig zu und erreichte um 1755 ein Maximum, siehe Diagramm rechts. Neben sicher auch witterungsbedingten Schwankungen lassen sich einige extreme Einbrüche in den Einnahmen durch Kriegsgeschehen wie 1745 (österreichischer Erbfolgekrieg), 1757 (siebenjähriger Krieg) und Hornviehseuchen (1784, 1798) erklären.
Der anfängliche Anstieg der Einnahmen hat vermutlich nichts mit der in dieser Zeit ebenfalls wachsenden Flörsheimer Bevölkerung zu tun; die Mehrzahl der Händler waren Nichtflörsheimer mit einem hohen Anteil an auswärtigen Juden. Offenbar war der Flörsheimer Markt seit Beginn zunehmend attraktiver geworden.
Die im Marktprotokoll verzeichneten Transaktionen (zweites Diagramm rechts) geben mit Ausnahme des ersten Jahres 1712 keinen Aufschluss über die Zahl der Händler: Bis 1785 wurden nur Transaktionen festgehalten, die mit besonderen Zalungsmodalitäten verbunden waren wie etwa Ratenzahlungen, Stellung eines Pfandes etc.. Der überwiegende Handel per direkter Barzahlung wurde bis 1785 nicht eingetragen.
Die Gründe für die kontinuierlich sinkenden Einnahmen zwischen 1755 und 1775 sind zur Zeit noch nicht klar. Auffällig ist, dass auch ab 1755 ein dramatischer Rückgang der Flörsheimer Bevölkerung durch Abwanderung einsetzte, sicher ausgelöst durch den Siebenjährigen Krieg (1756-1763). Die Einwohnerzahl erreichte um 1770 einen Tiefststand, siehe hier. Leider lässt sich nicht feststellen, welche kausale Zusammenhänge hier bestehen, da für diese Zeit relevante Dokumente wie das Gerichtsbuch GB 1752-1815 VN, Hypothekenbücher etc. sich nicht mehr im Bestand des Museums sondern vermutlich in “Pivatbesitz” befinden, siehe hier.
Die Gewinneinbrüche zwischen 1790 und 1800 sind eine Folge der Geschehnisse im ersten Revolutionskrieg. 1792 wurde Mainz von den Franzosen besetzt. Flörsheim hatte die vom französischen General Custine festgesetzten Kontributionen im Wert von 1500 fl zu leisten, deren Lieferung in Naturalien von in Flörsheim stationierten französischen Soldaten überwacht wurde.
Im Juli 1793 wurde Mainz von preußischen und österreichischen Truppen zurückerobert. Danach waren permanent zunächst preußische, danach österreichischer Truppen in Flörsheim stationiert. 1794 wurde alles hölzerne Inventar der Unterpforte von Soldaten verbrannt. 1799 war die Markthütte ruiniert, und es wurde ein provisorischer Markt am Mainufer abgehalten, Marktgelder konnten nicht erhoben werden. Unter solchen Bedingungen einen Jahrmarkt gewinnbringend zu organisieren, war offenbar nicht möglich.
Der endgültige Niedergang des Marktes nach 1800 ist eine Folge der damaligen politischen Verhältnisse. Nassau, das sich Napoleon angebiedert hatte, wurde von diesem als neugeschaffenes Herzogtum Nassau mit umfangreichem Besitz des Erzbistums Mainz belohnt. Ab 1806 war Flörsheim formal nassauisch. Allerdings hatten bereits 1802 nassauische Truppen Flörsheim besetzt, womit die Flörsheimer in der Folgezeit erhebliche Probleme hatten (so wurden katholische Feiertage wie der Verlobte Tag verboten).
Obwohl ab 1800 der Markthandel erheblich zunahm, siehe Diagramm rechts, hatte die Gemeinde keine oder fast keine Einnahmen. Von 1802 bis 1807 gibt es im Marktprotokoll überhaupt keine Abrechnungen, in einigen Jahren erscheint die Bemerkung konnte gar nichts eingenommen werden. 1811 und 1812 wurden landjäger zum Schutz des Marktes bezahlt.
Wenn trotz sehr hoher Umsätze am Markt die Gemeinde keine Einnahmen hatte, liegt der Schluss nahe, dass die neuen Herren die Marktgelder für andere Zwecke abzweigten. Offenbar waren die Flörsheimer nicht mehr bereit, unter diesen Bedingungen einen Jahrmarkt auszurichten und gaben den Markt auf. Die letzten Eintragungen im Marktprotokoll sind von 1815.
Man kann vemuten, dass der ebenfalls unter nassauischer Herrschaft stehende Hochheimer Markt in ähnlicher Weise eingebrochen ist; [Schüler 1887] beschreibt leider diese Phase des Hochheimer Marktes nicht. Während der Hochheimer Markt sich wieder erholte, galt das für den Flörsheimer Markt nicht.
Nach 1785 wurden zunehmend Transaktionen ab einem bestimmten Handelswert (Pferde, Ochsen und Kühe) in kurzen Protokollbucheinträgen festgehalten, von verschiedenen Protokollführern mit unterschiedlicher Sorgfalt. Ein typischer Eintrag sieht so aus:
Flörsheim den 2ten august 1756 auf unserem Jahrmarck Kauffte Johannes Hardt Von hier, eine Kuhe Von abrahamb Jud Von Hedternem, Von farb gelbroth mit einem grüsellKopf Vor frisch und gesundtem Kaufmansgut nach hiesigem marckrecht wobey der Jud dem Hardt gut Vor Gab ist, welches sie beithe Contrahenten angezeügt, und Zalt der Hardt die Kuh sogleich mit 11 RT
Festgehalten werden Käufer, Verkäufer und deren Herkunft, Handelsobjekt mit kurzer Beschreibung und dem Vermerk, dass dessen Zustand dem Flörsheimer Marktrecht entspricht, sowie Kaufpreis und Zahlungsmodus. Diese Einträge hatten notariellen Charakter und waren notwendig bei evtln. Regressansprüchen des Käufers.
Das Flörsheimer Marktrecht beschränkt sich (wie auch das Hochheimer Marktrecht) in wenigen Zeilen auf die Nennung der häufigsten Mängel (Krankheiten) bei Rindern und Pferden und legt fest, dass der Verkäufer bei Vorliegen dieser Mängel oder bei gestohlenem Vieh vier Wochen und ein Tag nach Verkauf regresspflichtig ist.
Viehhändler, Terrakottafigur, Landesmuseum Bad Zizenhausen
Ein amüsanter Eintrag im Marktprotokoll ist vom 6. August 1764: Der Mainzische Rat von Gall schließt mit dem Juden Schmuhl einen Handel ab. Es gibt zwei Versionen der Geschichte im Marktprotokoll, transkribierte Versionen hier. Die zweite Version, die leider nicht bis zum Ende aufgeschrieben wurde, ist geschliffener formuliert, detailreicher und unterscheidet sich inhaltlich etwas von der ersten Version. Nimmt man die Essenz aus beiden Versionen, ist Folgendes passiert:
Auf dem Augustmarkt 1764 tauscht Herr von Gall mit dem Juden Schmuhl eine Kuh, deren Wert der Jude auf 38 RT (57 fl) veranschlagt. Da die Kuh des Herrn von Gall offenbar weniger Wert ist (Der Wert einer “normalen” Kuh lag in dieser Zeit zwischen 10 fl und 15 fl), zahlt von Gall dem Juden einen Ausgleich, verbunden mit der Garantie des Juden, das seine Kuh nicht nur dem Flörsheimer Marktrecht entspricht, sondern auch trächtig ist und bis März nächsten Jahres ein Kalb kriegen wird (und damit Milch liefert).
Der Handel wird abgeschlossen; es stellt sich allerdings heraus, dass die Kuh des Juden nicht trächtig ist (und keinen Troben Milch liefert) sondern nur das teure Futter frisst. Schmuhl wird auf dem Hochheimer Pfingstmarkt ausfindig gemacht, und von Gall erstattet beim Hochheimer Oberschultheißen Anzeige. Der Jude verspricht, von Gall schadlos zu halten, was aber nicht geschieht. Die Kuh wird an einen Einwohner aus Wicker für 15 fl verkauft. Dem Juden wird zur Kenntnis gebracht, dass er steckbrieflich (beschrieben) auf den Märkten gesucht werden wird, wenn er sich weigert, sich mit seinem Gegner zusammen zu setzen, um den Schaden zu begleichen.
Der Jude Schmuhl hat den Herrn von Gall offenbar kräftig übers Ohr gehauen, indem er ihm eine nichtträchtige Kuh für 57 fl verkauft hat. Der Herr von Gall verstand wohl nicht viel von Vieh. Zu dieser Zeit kostete ein Pferd etwa 45 fl und eine nichtträchtige Kuh etwa 15 fl.
Nettoeinnahmen des Flörsheimer Gerichts aus dem Augustmarkt nach Marktprotokoll. Die gelben Punkte stellen die Nettoeinnamen lt. den Bürgermeisterrechnungen dar. Die Querbalken sind die Mittelwerte der Nettoeinnahmen der jeweiligen Dekade.
Im Marktprotokoll verzeichneter Handel. Dies Daten lassen, zumindest bis 1785 keine Rückschlüsse auf die Gesamtzahl der Transaktionen zu .