Vor der Christianisierung des deutschen Sprachraums gab es nur germanische Namen. Die Entwicklung der immer zweisilbigen germanischen Rufnamen bot die Möglichkeit, die einsilbigen Namensbestandteile fast beliebig zu kombinieren, was zu einer riesigen Menge an verfügbaren Rufnamen führte. Allein aus den Gliedern der Elternnamen Hildebrand und Gertrud können z. B für die Söhne die Namen Gerbrand, Trudbrand, Hildger, Brandger, Trudger und für die Töchter Hiltrud, Brandtrud, Gerhild, Brandhild, Trudhild kombiniert werden [Kunze 1998]. Durch solche Kombinationen konnten gleichzeitig Abstammungsverhältnisse angezeigt werden.

Durch die Christianisierung kam unser Raum mit lateinischen, griechischen und hebräischen Namen aus der Bibel in Kontakt, die stellenweise übernommen wurden. Es dauerte allerdings bis zum hohen Mittelalter, etwa 1300, bis die christlichen Namen einen nennenswerten Anteil an dem Rufnamenfundus hatten. Seit etwa 1300 steigt die Zahl der christlichen Namen, vorwiegend Heiligennamen, enorm an. Auch bei den germanischen Namen werden die bevorzugt, die von Heiligen getragen wurden wie Bernhard von Clairvaux, dem Kaiserpaar Heinrich und Kunigunde und viele andere. Ab etwa 1500 hatten die Heiligennamen die germanischen Namen überflügelt (Im Englischen heißen Vornamen “Christian Names”).
Hauptgrund für diese Entwicklung war die enorme Intensivierung der Heiligenverehrung seit dem hohen Mittelalter, die besonders durch den Dominikaner- und Franziskanerorden gefördert wurde [Kunze 1998]. Gleichzeitig ändert sich die Motivation der Namensgebung: Während bei der germanischen Namensgebung Eigenschaften des Namensträgers und familiäre Beziehungen im Vordergrund standen, war jetzt das Bedürfnis, durch die Vergabe von Heiligennamen das Kind dem Schutz des jeweiligen Heiligen anzuvertrauen („Schutzpatron“).

Bereits im hohen Mittelalter hatte man die Bedeutung der germanischen Namen nicht mehr verstanden und so die Möglichkeit, durch Kombination der einsilbigen Namensbestandteile neue Namen zu bilden, verloren. Dieser Verlust konnte auch durch die jetzt zahlreicher werdenden christlichen Namen nicht kompensiert werden. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung, und in den Städten konzentrierten sich immer mehr Einwohner auf engstem Raum. Die damit verbundene Notwendigkeit, die Träger gleichen Rufnamens zu unterscheiden, führten zur Vergabe von Beinamen als Vorstufe der Zweinamigkeit [Duden 2005].
Als Beiname konnte alles dienen, was den Namensträger charakterisierte und von anderen unterscheidbar machte: körperliche Merkmale wie lang oder groß (Übername), die Herkunft, der Beruf oder der Rufname des Vaters. Anfänglich wurden Beinamen häufig noch als solche gekennzeichnet wie etwa in der Formulierung „Conrad genannt der Lahme“.
In Flörsheim gibt es um 1450 Beinamen wie „Hans der Stedter“ (aus Königstädten) oder „Hen der Scherer“, die sich noch im 15. Jhdt. zur echten Zweinamigkeit entwickelten: „Hans Stedter“, „Hen Scherer“ (GB 1447- 1616 GN). Die meisten Namen in Flörsheim sind allerdings um 1450 bereits zweinamig.

Aus der notwendig gewordenen Zweinamigkeit entwickelten sich die Familiennamen, deren herausragendes Merkmal ist, dass der zweite Namensbestandteil auf die Nachkommenschaft übertragen, also vererbbar wird. „Weil durch die Kombination von Ruf- und Familiennamen in einem Gesamtnamen die Möglichkeit geschaffen wurde, Menschen zu unterscheiden und gleichzeitig die Familienzusammengehörigkeit anzuzeigen, hat sich diese höchst rationelle Kombination weltweit durchgesetzt“ [Kunze 1998].
Die Entscheidung, ob es sich bei einem Namen noch um Zweinamigkeit oder bereits um einen Familiennamen handelt, ist nicht immer einfach. Neben der Vererbbarkeit gibt es weitere Kriterien: wenn alle Geschwister den gleichen Nachnamen haben oder der Mann mit Namen „Becker“ Metzger ist.
Auf der anderen Seite kann man meist gut entscheiden, was noch kein Familienname ist. Z. B. ist „hen conrads son“ sicher kein Familienname, da er in dieser Form nicht vererbbar ist. Hier handelt es sich noch um Zweinamigkeit, wobei der Beiname nach dem Rufnamen des Vaters gebildet ist. Oder in einem Beispiel von 1459: peder becker engeln clesgens son, wo ein Peter Becker der Sohn von Cles Engel ist.
Auch nach allgemeiner Verbreitung der Familiennamen kam über viele Jahrhunderte dem Rufnamen die größere Bedeutung im alltäglichen Leben zu. Ein viel zitiertes Beispiel  ist das Monogramm von Albrecht Dürer: Ein großes A mit einem eingeschlossenen kleinen D (rechts). In allen Flörsheimer Gerichtsbüchern des 17. Jhdts. ist der Index nach Vornamen sortiert. Auch in unserer heutigen Sprechweise ist der Familienname der „Nachname“.

Im ersten Histogramm rechts die Entwicklung der Namensbildung: Einnamigkeit und Typen von Beinamen/Zweitnamen in Flörsheim im 15. und 16. Jhdt auf der Basis der Auswertung von GB 1447-1613 GN. Während die Einnamigkeit vorwiegend germanischer Namen wie Eynollf, Gerhard, Conrad, Heydolff um 1460 noch 15 % aller Namen ausmacht, sinkt sie bis 1600 auf 2 %. Bei der obigen Auswertung handelt es sich ausnahmslos um Besitzer von Hofreiten. Bei Personen wie Knechten, Tagelöhnern, die im öffentlichen Leben keine große Rolle spielten, hielt sich die Einnamigkeit noch länger.
Bei den zweinamigen Namen spielen Übernamen wie Lang, Gross, Kurz, Lahm in diesem Zeitraum nur eine geringe Rolle. Bei den anderen Beinamen ist auffällig, dass Beinamen nach Rufnamen und nach der Herkunft nach 1460 die Beinamen nach Beruf deutlich überwiegen. Allen Beinamen gemeinsam ist, dass ihre Zahl gegen Ende des 16. Jhdts. stark abnimmt; dies geschah zugunsten des Anwachsens der Zahl von Familiennamen. Diese wächst im gesamten Zeitraum zwischen 1447 und 1600 dramatisch an. Familiennamen haben bereits kurz vor 1600 einen Anteil von 84 %.

Im zweiten Histogramm rechts ist die Häufigkeit der wichtigsten germanischen Rufnamen (Heinrich, Gerhard, Bernhard, Conrad) und der wichtigsten christlichen Rufnamen (Peter, Cles/Nicolaus, Johannes, Philipp) in Flörsheim von 1450 bis 1800 dargestellt. Insgesamt wurden 6495 Namen ausgewertet. Zwischen 1450 und 1500 dominiert klar „Heinrich“ gefolgt von „Gerhard“, „Bernhard“ und „Conrad“. Bei den christlichen Namen ist allerdings „Peter“ schon mit über 20 % vertreten, gefolgt von „Cles“, „Johannes“ und „Philipp“. In den folgenden drei Jahrhunderten nimmt der Anteil germanischer Namen stark ab; nur der Anteil von „Conrad“ bleibt ungefähr konstant. Bei den christlichen Namen sinkt der Anteil von „Cles“ während der von „Philipp“ wächst.

Ein Phänomen stellt die Häufigkeit von „Johannes“ dar. Ausgehend von nur 5 % im 15. Jhdt. steigt die Häufigkeit im 17. Jhdt. auf 23 % und ist damit der mit Abstand häufigste christliche Rufname, nur geschlagen von „Heinrich“ mit 28 % im 15. Jhdt. Dabei wurden in der Auswertung nur die Rufnamen gezählt, wo „Johannes“ der einzige Rufname ist. Nimmt man noch die Doppelrufnamen wie „Johann Peter“ oder „Johann Phillipp“ hinzu, erhält man für das 17. Jhdt. einen Anteil von 57 %. D. h. 1656 hieß in Flörsheim jeder zweite Mann „Johannes“ oder „Johannes + 2. Rufname“.

Der Grund für diesen „Johannes-Hype“ im 16. und 17. Jhdt. nicht nur in Flörsheim ist unklar. Eine Erklärung könnte sein, dass es zwei berühmte Heilige mit Namen Johannes gibt: Johannes der Täufer, Gedenktag 14. Juni, und Johannes der Apostel, der von der Kirche mit Johannes dem Evangelisten gleichgesetzt wird, was aber historisch umstritten ist, Gedenktag 24. Dezember. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe weiterer, weniger bekannter Heiliger mit Namen Johannes.

Darunter eine Konzentration dieses Diagramms auf germanische und christliche Rufnamen in summa.  Bis Ende des 17. Jhdts. ist der Trend eindeutig: Der Anteil germanischer Namen sinkt von 58 % auf 14 %, der Anteil christlicher Namen steigt von 42 % auf 86 %. Im 18. Jhdt. tritt eine leichte Trendwende ein: Die germanischen Rufnamen werden wieder häufiger und die christlichen weniger. In protestantischen Gegenden ist diese Trendwende sehr ausgeprägt und beginnt kurz nach der Reformation. Die protestantische Kirche lehnte eine Heiligenverehrung, wie sie die Katholiken praktizierten, ab, was sich natürlich in der Namensgebung niederschlug. Es ist denkbar, dass es im  18. Jhdt. in Flörsheim durch den Zuzug protestantischer Familien zu dieser Trendwende kam.

Monogramm von Albrecht Dürer, 1498

Einnamigkeit und Typen von zweinamigen Namen im 15. und 16. Jhdt. in Flörsheim

Häufigkeit wichtiger germanischer und christlicher Vornamen zwischen 1450 und 1800 in Flörsheim

Häufigkeit germanischer und christlicher Vornamen zwischen 1450 und 1800 in Flörsheim

Entwicklung der Namen in Flörsheim